Schweizer Weine 2023 - Ein Jahrhundert-Jahrgang
Das Jahr 2023 war für die Schweizer Winzer eine Achterbahn der Gefühle. Extreme Witterungsverhältnisse - von Trockenheit bis hin zu heftigen Unwettern - stellten die Branche vor grosse Herausforderungen. Doch trotz dieser Widrigkeiten zeigen sich die Weinmacher überaus optimistisch. Wie sich der Jahrgang 2023 entwickelt hat und welche Besonderheiten er aufweist, erfahren Sie in diesem umfassenden Artikel.
Traumstart und Wetterkapriolen
Der Frühling 2023 begann für die Schweizer Rebberge verheissungsvoll. Ein milder Winter und durchschnittliche Niederschläge im Frühjahr legten den Grundstein für einen vielversprechenden Vegetationsstart. "Die Blüte war derart grosszügig, dass wir im Juli sogar zurückschneiden mussten", berichtet Louis-Philippe Burgat von der Domaine de Chambleau im Kanton Neuenburg.
Doch dann folgten Wetterkapriolen, die den Winzern schwer zu schaffen machten. "Mitte September gab es unmittelbar vor Erntebeginn über 60 Liter Niederschlag in den Walliser Rebbergen", erinnert sich Diego Mathier von Nouveau Salquenen. "Es bestand die Gefahr von Fäulnis und Aufplatzen der Beeren." Auch in anderen Regionen richteten Hagel und Starkregen teilweise erhebliche Schäden an.
Meisterhafte Krisenmanagement der Winzer
Doch die Winzer bewiesen Ruhe und Umsicht. "Wir haben die Ruhe bewahrt und die ersten zehn Tage quasi nichts geerntet", erzählt Mathier. "So ist das Wasser wieder aus den Trauben herausgekommen." Auch in anderen Weinbaugebieten zeigten die Winzer Fingerspitzengefühl. "Wir mussten bereits im Weinberg eine strenge Selektion vornehmen", berichtet Tom Litwan von der Oberhof AG im Kanton Schaffhausen.
Durch dieses geschickte Krisenmanagement konnten die Winzer die Qualität der Trauben sicherstellen. "Entstanden sind Konzentrate, die ihresgleichen suchen!", schwärmt Mathier. Ähnlich äussern sich auch andere Spitzenwinzer wie Francisca und Christian Obrecht aus Jenins im Kanton Graubünden oder Yvon Roduit von der Cave La Rodeline im Wallis.
Historischer Vergleich: Ein Jahrhundert-Jahrgang
Die Winzer sind sich einig: Der Jahrgang 2023 hat das Potenzial, sich in die Riege der ganz grossen Jahrgänge der letzten 120 Jahre einzureihen. "Die Topjahrgänge waren 1911, 1929, 1947 und 1982", erklärt Mathier. "Und nun 2023."
Was diese Jahrgänge gemeinsam haben, sind die ähnlichen Witterungsbedingungen: Regen zu Beginn der Ernte, gefolgt von einem warmen und trockenen Herbst mit Temperaturen bis zu 35 Grad Celsius. "Das Klima war genau gleich wie heuer", betont Mathier.
Die Folge sind Weine von aussergewöhnlicher Konzentration und Komplexität. "Die 2023er Pinot Noirs weisen eine beeindruckende Struktur und Substanz auf, die sie für eine lange Lagerung in der Flasche prädestiniert", beschreibt Tom Litwan. Auch bei den Weissweinen und Schaumweinen zeigen sich die Winzer begeistert von den Ergebnissen.
Regionale Unterschiede und Besonderheiten
Obwohl der Grossteil der Schweizer Weinregionen von einem hervorragenden Jahrgang 2023 profitieren konnte, gibt es durchaus regionale Unterschiede. Besonders betroffen war die Bündner Herrschaft im Kanton Graubünden. "Die Beeren sind teilweise aufgeplatzt", berichtet Rebbaukommissär Walter Fromm. Bis zu 40 Prozent der Reben in Jenins, Malans und Maienfeld seien geschädigt.
Andere Regionen wie das Baselbiet, Solothurn oder das Tessiner Barbengo kamen dagegen vergleichsweise glimpflich davon. Hier konnten die Winzer trotz der Herausforderungen qualitativ hochwertige Trauben ernten. "Mit der Qualität sind wir durchwegs sehr zufrieden", resümiert Anna Barbara Kopp von der Krone aus dem Tessin.
Rebsorten-Highlights
Neben den regionalen Unterschieden zeigen sich auch bei den Rebsorten Besonderheiten des Jahrgangs 2023. Vor allem die Rotweine, allen voran die Pinot Noirs, überzeugten die Experten. "Die Pinot Noirs weisen eine beeindruckende Struktur und Substanz auf", schwärmt Tom Litwan. Auch Yvon Roduit von der Cave La Rodeline ist begeistert: "Die Lage-Pinots haben eine tolle Säurestruktur bei einem Alkoholgehalt von 13,5 Volumenprozent."
Aber auch die Weissweine konnten die Winzer vollends überzeugen. Der Blanc d'Y der Cave La Rodeline etwa überzeugt laut der Verkostung mit einer "sensationell langen" Aromatik. Und der Ambassadeur Fumé Gros Rhin von Adrian & Diego Mathier begeistert mit seiner "tollen gelbfruchtigen Nase" und "Mundfülle".
Quantität und Qualität im Einklang
Neben der herausragenden Qualität zeichnet sich der Jahrgang 2023 auch durch eine solide Menge aus. "Wir können von einem guten bis sehr guten Ertrag ausgehen", betont Jürg Bachofner vom Branchenverband Deutschschweizer Wein. Lediglich in den von Unwettern betroffenen Regionen mussten Ertragseinbussen von bis zu 50 Prozent hingenommen werden.
Insgesamt dürfen sich die Schweizer Weinliebhaber also auf einen Jahrgang freuen, der sowohl qualitativ als auch quantitativ überzeugt. "2023 wird für uns ein Wein mit einem äusserst spannenden Charakter", verspricht Francisca Obrecht. Ihre Kollegin Anna Barbara Kopp ergänzt: "Die späten Sorten konnten dank dem schönen Wetter gegen Ende September super ausreifen."
Beliebtheit des Schweizer Weins ungebrochen
Der Erfolg des Jahrgangs 2023 kommt zu einem günstigen Zeitpunkt. Denn der Schweizer Wein erfreut sich in den letzten Jahren einer stetig wachsenden Beliebtheit. Während der Gesamtkonsum rückläufig ist, gewinnt der Inlandsmarkt laut Branchenverband an Bedeutung. Der Anteil der Schweizer Weine liegt mittlerweile bei rund 40 Prozent.
"Die Rebe ist eine Pflanze, die sich das Wasser suchen kann", erklärt Urs Weingartner, Rebbaukommissär beider Basel und Solothurn. Dank ihrer tiefen Wurzeln könne die Rebe auch Trockenperioden gut überstehen. Dies kommt den Winzern in Zeiten des Klimawandels zugute.
Ausblick: Spitzenweine aus der Schweiz
Angesichts der vielversprechenden Entwicklung des Jahrgangs 2023 dürfen sich die Schweizer Weinliebhaber auf eine Fülle an Spitzenweinen freuen. "Freut Euch auf das, was in den Walliser Kellern schlummert", ermuntert Diego Mathier. Auch andere Winzer wie Tom Litwan oder Louis-Philippe Burgat zeigen sich äusserst optimistisch.
Die Herausforderungen des Jahres 2023 haben den Schweizer Weinbau einmal mehr geprägt. Doch die Winzer haben bewiesen, dass sie auch in Krisenzeiten Ruhe bewahren und mit Umsicht und Expertise hervorragende Weine zu produzieren vermögen. Der Jahrgang 2023 verspricht somit ein wahrer Genuss für alle Weinkenner zu werden.
Ausgewählte Spitzenweine des Jahrgangs 2023
Nature Blanc Brut, Weingut Obrecht, Jenins GR
- Tolle briochige Nase, Hefe, Zitrus
- Knackige, viel Säure, schöne feine Perlage
- Herb, kräuterwürzig, Kraft, füllt alles aus
- Champagnesk, tolles Finale
- Score: 18,5/20 (2019)
Pinot Noir Hallau Chölle, Weinbau Markus Ruch, Neunkirch SH
- Sehr schöne, leicht erdig-mineralische Nase
- Recht sortentypisch, Kirschen, Kräuter
- Stringent und doch mit etwas Charme, Tiefe
- Knackige Säure, stoffige Tannine, Johannisbeeren
- Sehr frisch, Minze, tolles Finish
- Score: 18/20 (2021)
Pinot Noir Haghalde, Litwan Wein Oberhof AG
- Leichte Flintstone-Note, sehr mineralisch, herbal
- Enorm expressiv, in der Tendenz rote Beeren
- Total elegant, feingliedrig, Unterholz, Pilze
- Mundfülle, eigenständig, sehr typisch, burgundisch anmutend
- Enorm langes Finish
- Score: 18,75/20 (2020)
Balin Cantina, Kopp von der Crone Visini, Barbengo TI
- Verhaltene Nase, ein Hauch Chriesi und Kräuter
- Elegant, schlank, total easy und leichtfüssig
- Ätherisch, wirkt fast zerbrechlich
- Ein Pinot-mässiger Merlot mit unendlicher Länge
- Score: 18,5/20 (2021)
Blanc d'Y, Cave La Rodeline, Fully VS
- Leicht medizinal, sehr floral, Marzipan- und Wachsnose
- Ausladend, rechte Säure, viel Frucht, vor allem Agrumen
- Total frisch, ätherisch, elegant, sensationell lang
- Score: 18/20 (2021)
L'Audacieux, Domaine de Chambleau, Colombier NE
- Extremes Konzentrat, kein Wasserrand
- Etwas Kuhfladen, leicht schweflig, dunkle Frucht
- Tiefe, viel Säure, rechte Tannine, Brombeeren, Zwetschgen, Cassis
- Sehr schlank, aber auch Vorwärtsdrang, ätherisch, Mundfülle
- Sehr jugendlich, tolles Finish
- Score: 17,5/20 (2021)
Ambassadeur Fumé Gros Rhin de Chamoson, Adrian & Diego Mathier, Salquenen AG, Salgesch VS
- Tolle gelbfruchtige Nase, Kräuterwürze, mineralisch
- Schmelz, Power, Tiefe, dezente Säure, floral
- Ausladend, ätherisch, Mundfülle, Vegetabiltouch
- Röstaromen im langen Abgang
- Score: 18/20 (2022)
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